Das Volk muss seine Richter in letzter Konsequenz immer selbst wählen!
Das Volk muss seine Richter in letzter Konsequenz immer selbst wählen!
Das Obergericht des Kantons Zürich. (Bild: Wikipedia)
Die Richterwahl ist fest in der Verfassung von Bund und Kanton verankert. Zwar werden die Bundesrichter von den Eidgenössischen Räten gewählt und die höheren kantonalen Gerichte im Kanton Zürich vom Kantonsrat, doch die Wahl bildet den politischen Proporz ab und somit den Volkswillen. Kommt es zu Änderungen in diesem Mechanismus, dann ist auch die Verfassung anzupassen und das Volk als Souverän hat das letzte Wort. Darum geht es am kommenden 3. März.
Das Entstehen der Vorlage kurz erklärt
Bei Abstimmungsvorlagen ist es oft hilfreich, neben dem materiellen Inhalt auch etwas über die Geschichte des Geschäfts und den Gesamtkontext zu wissen. Interessant ist etwa der jeweilige Startschuss für Gesetzesänderungen. Auf kantonaler Stufe sind neben parlamentarischen Vorstössen oder Volksinitiativen meist die Anpassungen ans Bundesrecht der Treiber für Verfassungs- oder Gesetzesänderungen. Bei der aktuellen Vorlage war es ein Bundesgerichtsentscheid, welcher den Kantonsrat zum Handeln bewegte. Das Bundesgericht hatte im Entscheid 1C_295/2019 vom 16. Juli 2020 manifestiert, dass die bisherige Prozedur des Kantonsrates, wonach Richter, welche das 65. Altersjahr überschritten haben, nicht mehr zur Wiederwahl für eine neue sechsjährige Amtsdauer vorgeschlagen werden, dem Grundsatz der Rechtsgleichheit widerspreche. Das Bundesgericht erklärte, dass Personen, welche zum Zeitpunkt der Wiederwahl kurz vor dem Erreichen des 65. Altersjahrs stehen, wiedergewählt werden könnten, Personen, die kurz vorher 65 geworden sind, aber nicht mehr gewählt werden können. Darin bestehe eine deutliche Ungleichbehandlung.
Absehbare Beschwerde verhindern
Das Bundesgericht hatte zudem ausdrücklich erwähnt, es sei möglich, für Gerichte Altersgrenzen einzuführen. Im Entscheid forderte das Bundesgericht den Kantonsrat auf, dahingehend gesetzgeberisch tätig zu werden. Wäre der Kantonsrat dieser Aufforderung nicht gefolgt, dann würde das Fehlen einer Regelung wohl zur Gutheissung einer Beschwerde vor dem Bundesgericht führen. Dies wenn Personen, welche das 65. Altersjahr knapp überschritten haben und nicht mehr zur Wahl an ein Gericht aufgestellt werden, sich dagegen vor Bundesgericht zur Wehr setzen. So beschloss die interfraktionelle Konferenz des Kantonsrates (Konferenz aller Fraktionschefs IFK) eine Parlamentarische Initiative (PI) zur Behebung dieser Schwachstelle und packte noch eine juristische Altlast hinein, welche im selben Anlauf ebenfalls geregelt werden sollte. Bei den Handelsrichtern hält der Vorstoss der Interfraktionellen Konferenz als Begründung fest: «Am 20. August 2007 wählte der Kantonsrat ‹aus Versehen› fünf Mitglieder des Handelsgerichts, die nicht im Kanton Zürich stimmberechtigt waren. Diese formelle Wählbarkeitsvoraussetzung wurde in der Folge zwar diskutiert. Es wurde aber nie darüber entschieden, ob sie der Aufgabe dieses ausgesprochen fachlich orientierten Gerichts gerecht wird.» So wurde die IFK PI am 20. September 2021 mit 146 Stimmen vorläufig unterstützt und der Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit zugeteilt.
Die Erarbeitung einer guten Vorlage
In der Kommission wurde die zugeteilte PI dann gründlich beraten und schnell zeichnete sich ab, dass mit der Altersbeschränkung auf 68 Jahre für Mitglieder der Gerichte im Gesetz über die politischen Rechte eine breit abgestützte Lösung in Anlehnung an das Bundesgericht gefunden werden kann. Mehr zu reden gab die Wohnsitzpflicht, weil gerade bei den Handelsrichtern die Sorge bestand, dass man zu wenig geeignete Richterinnen und Richter für sehr komplexe Fälle im Kanton hätte. Hier setzte sich aber auch die Meinung durch, dass auch die Handelsrichter Wohnsitzpflicht im Kanton haben müssen. Zusätzlich wurde der Grundsatz «keine fremden Richter» auch in der Kantonsverfassung verankert und nun so dem Volk beantragt. Allerdings lässt der neue Text ein Türchen für den Fall der Fälle offen, dass ein Supergau in der Grössenordnung vom damaligen Swissair- Fall doch noch eine Anpassung nötig machen würde. In dem Fall könnte der Kantonsrat kurzfristige Ausnahmen auf Gesetzesstufe beschliessen. Dieser Entscheid ist meines Erachtens weise und kann so auch an der Urne abgesegnet werden. Aus liberaler Sicht hat die Vorlage nur den kleinen Makel, dass noch ein Punkt darin geregelt werden soll, der bisher gar nie ein Problem war. So wird die juristische Ausbildung nun auch als Voraussetzung für die obersten Gerichte festgeschrieben, nachdem das Zürcher Volk 2016 schon die Laienrichter für die Bezirksgerichte abschaffte. Damit ist es nun durchgehend gleich geregelt, auch wenn es bisher noch nie einen Laien am Obergericht gab. Ausnahmen gibt es danach nur noch bei den Handelsrichtern und den Ersatzmitgliedern.
Das hohe Gut der Verfassung
Die Verfassung wurde dem Volk nicht geschenkt, sondern das Volk hat sie sich erkämpft und dann Schritt für Schritt in die heutige Form gegossen. Dieser Prozess begann 1831 mit der ersten Kantonsverfassung (siehe Artikel auf Seite 3). Aus diesem Grund ist jede Veränderung ein wichtiger Schritt und sollte mit etwas Ehrfurcht verbunden sein. Im vorliegenden Geschäft geht es immerhin darum, dass die Kompetenzen, um künftige Ausnahmen zu regeln, an die Gesetzesstufe delegiert werden. Der Kantonsrat wird dieser Kompetenz sicherlich gerecht und die Anpassung ist insgesamt verhältnismässig. Diese Frage muss aber bei jeder Verfassungsänderung gestellt werden und im Zweifelsfall dann mit Nein beantwortet werden. Spätestens in der Frage der bereits indirekten Übernahme von Rechtsprechungspraxis des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) oder des übergeordneten Völkerrechtes muss die Verfassung von Bund und Kanton stets Vorrang haben und nur der Mehrheitswille des Volkes kann etwas an seinen Rechten ändern, aber nie fremde Richter oder Politiker. Halten wir also unsere Verfassungen hoch und wachen wir sorgsam über unsere Freiheit.