Die Schweizer Raketenabwehr und das European Sky Shield
Eine Interkontinentalrakete wie die russische RS-28 Sarmat fliegt im Weltraum mit einer unglaublichen Geschwindigkeit von 25 500 km/h auf ihr Ziel zu. Sie kann sich noch im Weltraum in 24 nukleare Vehikel aufteilen, die jeweils eine Stadt zerstören können. Eine furchtbare Waffe. Und leider hat die Schweiz seit 1999 keine Raketenabwehr mehr. Das soll sich allerdings ändern.
Die israelische Abwehrrakete Arrow kann Raketen bis in eine Höhe von 100 km abschiessen. (Bild: Wikipedia)
Patriot
Die Schweiz hat das US-System zur Flugzeug- und Raketenabwehr Patriot beschafft. Es soll ab 2029 einsatzbereit sein. Dieses System hat sich in der Ukraine sehr gut bewährt und bewiesen, dass es manche russische Überschallraketen abschiessen kann. Es wird sicher einen guten Beitrag zu unserer Luftverteidigung leisten. Patriot wird den Schweizer Luftraum aber nicht vollständig schützen und nur ca. 15 000 Quadratkilometer des Schweizer Territoriums abdecken, jedenfalls offiziell. Das ist weniger als die Hälfte unseres Landes. Und es soll weitgehend von Milizsoldaten betrieben werden, wird uns also nicht wirksam vor einem Überraschungsangriff schützen, wenn dieser zeitlich vor einer Mobilmachung erfolgt.
Das European Sky Shield
Deshalb soll die Schweiz der Initiative «European Sky Shield» beitreten. Diese umfasst 19 europäische Länder unter deutscher Führung. ¹ Dazu hat sie Anfang Juli eine Absichtserklärung unterschrieben. Klar ist, dass diese Initiative der gemeinsamen Beschaffung von Mitteln der bodengestützten Luftverteidigung dienen soll. Darüber hinaus ist noch nicht entschieden, welche Rechte und Pflichten die Schweiz haben wird.
Technisch hilfreich
Militärische Radare haben Reichweiten von maximal nur 400 km, jedenfalls offiziell. Somit bliebe rein rechnerisch nur ca. eine Minute Zeit, um eine mit 25 000 km/h fliegende Interkontinentalrakete zu erfassen, zum Abschuss freizugeben, die Abwehrrakete in grosse Höhe aufsteigen zu lassen und das Ziel zu zerstören. Die Zeit wäre also in einigen Fällen zu knapp. Die Verteidigung des Schweizer Luftraums ohne vorgelagerte Radarstationen im Ausland ist somit schwierig bis unmöglich. Radardaten aus anderen europäischen Ländern wären für die Schweiz daher sehr wertvoll und das könnte European Sky Shield bieten. Kern des European Sky Shield ist das israelische Raketenabwehrsystem Arrow-3, das auf die Abwehr von Interkontinentalraketen spezialisiert ist. Es kann Ziele in einer Höhe von bis zu 100 km zerstören und verfügt über eine Reichweite von 2400 km. Deutschland wird dieses System erwerben und kann damit auch die Schweiz schützen.
Aber die Neutralität
Aber so militärtechnisch sinnvoll der Beitritt zu European Sky Shield wohl ist, so problematisch kann er neutralitätspolitisch werden. Je nach der genauen Ausgestaltung könnte die Schweiz hier einer militärischen Allianz beitreten. Das würde die Neutralität im Kern treffen. Zwar wäre diese Allianz sehr defensiv, weil sie nur der Luftverteidigung dienen würde. Dennoch könnte die Schweiz in einen militärischen Konflikt hineingezogen werden. Beispielsweise könnte jemand, der einen Angriff auf die NATO plant, vorher Einrichtungen der Schweizer Luftverteidigung ausschalten. Im schlimmsten Fall sogar mit Massenvernichtungswaffen.
Handlungsbedarf
Politisch gesehen ist das European Sky Shield also zweischneidig. Militärtechnisch sinnvoll, aber neutralitätspolitisch problematisch. Klar ist jedenfalls, dass wir angesichts der immer schwierigeren internationalen Lage die Lücke in unserer Raketenabwehr schliessen müssen. Russland droht seinen westlichen Feinden inzwischen regelmässig mit dem Einsatz von Nuklearwaffen und hält auch die Schweiz nicht mehr für neutral. Kleinere Atommächte könnten noch viel irrationaler werden. Ausserdem sind ihre Raketen nicht sehr zielgenau, könnten die Schweiz also auch aus Versehen treffen.
¹ https://en.wikipedia.org/wiki/European_Sky_Shield_Initiative