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Eigenverantwortung beginnt im Kleinen

Von England und den USA kommend breitet sich eine Un-Verantwortlichkeits-Kultur aus. Die Abgabe von Entscheidungen scheint bequem – doch sie schadet der Demokratie.

Wer keine Verantwortung trägt, kann auch nicht entscheiden. (Bild: Bing Image Creator)

Diesen Sommer wurde mir bei einem Geschäftsaufenthalt in England wieder einmal schmerzlich bewusst, wie schlecht es um das Prinzip der Eigenverantwortung bestellt ist – und dies in England, einem Staat mit langer liberaler Geschichte! Am Ende einer langen Arbeitswoche bestellte ich am Bahnhof Kings Cross einen Espresso zum Mitnehmen. Entgegen meinem mehrfach geäusserten Willen setzte der Verkäufer einen Deckel auf den Becher. Er tat dies mit dem Hinweis, dass ich mich ja verbrennen könne und der Betreiber es in jedem Fall verlange. Ich durfte also nicht einmal mehr selbst entscheiden, ob ich einen Deckel für einen Becher benötige, den ich sowieso in einem Schluck austrinke.

Die anderen sind verantwortlich

Diese Art von Paternalismus zog sich durch meinen ganzen Aufenthalt auf der britischen Insel. Immer wieder nahm mir jemand das Denken ab, warnte mich vor angeblichen Gefahren oder fällte sogar Entscheidungen für mich. So informierte man mich bei fast jedem Waschbecken mit «Attention hot» darüber, dass aus den Hähnen heisses Wasser fliesse. Aha! Dabei heisst es doch, dass man nicht lerne, dass Feuer heiss ist, ohne es einmal anzufassen. In den Restaurants fragten mich die Kellner jeweils fast schon penetrant, ob ich nicht doch irgendeine Allergie habe. Man stelle sich vor: Nicht diejenigen mit einer Allergie sind in der Pflicht, ihre Bedürfnisse mitzuteilen, sondern das Restaurant übernimmt diese Verantwortung für sie. Natürlich hat die Verantwortungskultur in den angelsächsischen Ländern, getrieben durch mehrere Leiturteile der Gerichte, besonders stark gelitten. Gottlob ist es in der Schweiz (noch) nicht so schlimm.

Nichtentscheiden scheint vielen bequem

Dem Mitmenschen wird bei uns noch etwas mehr zugetraut. Doch auch wir sind vor dieser Entwicklung nicht gefeit und geben vermehrt Verantwortung ab. Wir zentralisieren immer mehr Entscheidungen in Bern oder direkt in Brüssel, anstatt sie an Ort und Stelle zu fällen, wie es unserer föderalistischen Natur entspricht. Auch die im letzten Jahr vom Stimmbürger abgesegnete Widerspruchsregelung der Organspende gehört dazu. Jeder, der nicht Nein sagt, ist automatisch Organspender. Der Einzelne muss sich nun nicht mehr mit dieser Entscheidung auseinandersetzen, sie wird automatisch für ihn gefällt. Obwohl nicht denken und entscheiden zu müssen, vielen praktisch erscheint, unterläuft es unsere demokratischen Kernprinzipien. Es wäre vielmehr wichtig, dass wir Eigenverantwortung im Kleinen pflegen, sodass sie auch im Grossen funktioniert. Wie sollen wir denn unseren Mitmenschen zutrauen können, einen Wahlzettel auszufüllen, wenn sie nicht einmal selbst darüber entscheiden dürfen, ob sie einen Deckel für ihren Kaffeebecher benötigen?

über den Autor
Manuel Zanoni
SVP (ZH)
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