Kostenbremse durch Anbindung an die Wirtschaftsentwicklung?
Unser Gesundheitswesen gilt als eines der besten der Welt. Es ist aber wohl auch eines der teuersten. Während die Löhne in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um 6 Prozent gestiegen sind, betrug der Sprung im Gesundheitswesen 31 Prozent.
Gemäss Tarmed müssen Krankenkassen alle Leistungen übernehmen. Unterschiedliche Versicherungsmodelle wären günstiger. Bild: Adobe Stock
Der stete Anstieg der Gesundheitskosten hat mehrere Gründe: Zum einen nimmt die Zahl der älteren Menschen und der chronisch kranken Personen zu, zum anderen können medizinische und technologische Fortschritte die Kosten erhöhen. Und drittens bestehen im Gesundheitswesen Fehlanreize und ineffiziente Strukturen, die dazu führen, dass viele Behandlungen durchgeführt werden, die medizinisch nicht begründbar sind. Schätzungen gehen von einem Einsparpotenzial von mehreren Milliarden Franken aus. Am 9. Juni 2024 stimmen wir über die «Kostenbremse-Initiative» der Mitte- Partei ab. Die Volksinitiative will, dass sich alle von der obligatorischen Krankenversicherung bezahlten Leistungen neu an der Entwicklung der gesamten Wirtschaft und der Löhne orientieren. Steigen die Gesundheitskosten um mehr als einen Fünftel als die Nominallöhne, muss der Bund eingreifen, um das Aufwandwachstum zu drosseln.
Es drohen Rationierungen
Das ist schon mal ein wichtiger staatspolitischer Grund gegen diese Initiative, denn das Gesundheitswesen ist Sache der Kantone. Hier würde eine zentrale Steuerung durch den Bund mit Kostenzielen eingeführt, die von den Kantonen umgesetzt werden müssen. Der Bund würde dann Zielvorgaben diktieren, die nichts anderes als Globalbudgets sind. Wenn ein Kanton in einem Jahr ein tieferes Kostenziel als im Vorjahr erreichen muss, dann heisst das nichts anderes, als dass er die Leistungen deckeln muss. Eine solche Koppelung führt zu einer Rationierung. Gewisse Leistungen könnten für gewisse Menschen oder gewisse Gruppen wohl nicht mehr erbracht werden. Das wäre für Kranke und Arme eine Katastrophe.
Zweiklassenmedizin
Dank unserem heutigen System hat jeder Bewohner unbeschränkten Zugang zu allen Gesundheitsleistungen von höchster Qualität bei breiter Leistungspalette und kurzen Wartezeiten. Es hat aber eine Schattenseite: das ungebremste Kostenwachstum, das die Initianten zu Recht aufgreifen. Vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) können wir leider keine Kosteneinsparungen erwarten. Die Folgen wären Rationierungen, lange Wartezeiten und die berüchtigte Zweiklassenmedizin. «Konkret würden wir die Zusatzversicherten zuerst behandeln und die anderen verschieben, oder nur noch Zusatzversicherte in unseren Praxen neu aufnehmen», warnt ein Kinderarzt im «Blick». An der fehlenden Bestimmtheit der Leistungseinsparungen macht sich diese Volksinitiative angreifbar.
Viele Einsparmöglichkeiten
Die Initiative lässt die Massnahmen für die künftige Einsparung offen, Exponenten der Mitte-Partei führen im Abstimmungskampf aber einige einleuchtende Beispiele ins Feld: Durch Preissenkungen bei den Medikamenten könne man 400 Millionen Franken pro Jahr sparen und noch immer würden zu viele Operationen im Spital stationär statt ambulant durchgeführt. Zu Recht verweist die Mitte-Partei auf das Sparpotenzial ohne Qualitätseinbussen, das eine Studie im Auftrag des Bundes 2019 ausgemacht hat. Rund 19 Prozent aller Leistungen, die über die obligatorische Grundversicherung finanziert werden, könnten eingespart werden, wenn es effizient gestaltet wäre. Insofern hat diese Volksinitiative durchaus ihre Berechtigung. Die Koppelung an die Wirtschaftsleistung des Landes und die Löhne ist allerdings ein Unding.
Der Vertragszwang für die Krankenkassen muss weg
Doch wie könnte das immense Problem der steigenden Kosten tatsächlich gelöst werden? Indem man das Problem bei der Wurzel packt, nämlich beim Obligatorium, das die Leistungen zu starr und zu umfangreich zu Lasten der Allgemeinheit definiert. Heute stehen die Krankenkassen in der Pflicht, alle staatlich definierten medizinischen Leistungen von jedem zugelassenen Anbieter – von den Spitälern, Arztpraxen, Physiopraxen über die Pharma- und Medizinalfirmen bis zu Psychiatrien, Apotheken, Labors und Krankenkassen – zu einem staatlich fixierten Preis vergüten zu müssen. Das nennt sich Tarmed. Die Versicherungen sollen frei sein, verschiedene Versicherungsmodelle anbieten zu können, damit der Bürger wählen kann, ob er ein Modell ohne Homöopathie oder ohne psychosoziale Betreuung will. Zudem sollten Krankenkassen Ärzte und andere Leistungserbringer ausschliessen können und sagen können, mit welchen Ärzten sie zusammenarbeiten wollen. Das würde die Kosten auch senken. Das Grundproblem ist der fehlende Wettbewerb und das Rezept ist mehr Markt in der Branche. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab, haben aber einen indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe erarbeitet. Darüber werden wir nicht abstimmen, aber wenn die Initiative abgelehnt ist, tritt er automatisch in Kraft. Er sieht im Kern die Einführung von Kosten- und Qualitätszielen für das Gesundheitswesen vor. Der Bundesrat soll alle vier Jahre Vorgaben für die Leistungen gemäss dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung festlegen. Ausser der Mitte-Partei selbst ist keine Partei von der Kostensenkungs-Initiative überzeugt. Von Bundesrat wie vom Parlament wird die Initiative klar zur Ablehnung empfohlen.