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Prigoschins Marsch – ein Krimineller demaskiert ein Machtgefüge

Eine Woche nach dem Prigoschin-Aufstand sind die Details noch im Unklaren. Die abgebrochene Rebellion zeigt dennoch Wirkung. Die Macht des russischen Potentaten Putin und sein Rechtfertigungsnarrativ für den Krieg gegen die Ukraine sind erschüttert.

Da waren sie noch Freunde. Wladimir Putin und Jewgeni Prigoschin bei der Besichtigung einer Nahrungsmittelfabrik. (Quelle: Wikipedia)

Man stelle sich, Jewgeni Prigoschin hielt sich für einen Napoleon: Als dieser aus Elba kam und in der Provence landete, nahm man den, der vor Moskau kehrt machen musste, noch nicht ernst; als er mit dem Marsch auf Paris begann, gewann er zunehmend an Respekt und Zulauf. Schliesslich marschierte er unter Begeisterung der Bevölkerung in Paris ein und zog die ganze Macht an sich. Bis er in Waterloo verlor und endgültig ins Exil auf die karge Insel Sankt Helena geschickt wurde.

 Ausgebliebener Dominoeffekt

So könnte auch Prigoschin geglaubt haben, er werde von anderen Kräften unterstützt: Von Truppen, die mit seinen erklärten Feinden, dem Verteidigungsminister Sergei Schoigu und dem Armeechef Waleri Gerassimow ebenfalls ablehnend gegenüberstanden; vielleicht auch aus anderen Zirkeln der Macht. So könnte er mit einem Zulauf und Unterstützung gerechnet haben auf dem Weg nach Moskau. Als er 200 Kilometer vor dem Kreml stand, musste er erkennen, dass dem nicht so war. Seine Truppe war zu klein, als dass der Stoss ins Zentrum der Macht hätte erfolgreich sein können: Moskau war nicht Rostow. Da muss ihm, isoliert wie er wohl war, klar geworden sein, dass sein Unterfangen zu einem hoffnungslosen «Höllenfahrtskommando» werden müsste.

Es folge die Umkehr mit Argumenten, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmten. Die deklarierte Strategie war nicht die wirkliche Strategie.  Was ihm blieb, war aus dem Fundus der Standard-Angebote die beste Option zu wählen: «Rückzug unter Mitnahme aller Waffen» mit der Zusicherung der Straffreiheit für ihn selber und für seine Truppen.

Narrativ und Wahrheit

Was inzwischen an Verlautbarungen zu vernehmen ist, dürfte sich auf dem Ramschniveau von Rechtfertigungen und Beschönigungen bewegen, steht das aktuelle Wording doch in Gegensatz zu den ursprünglichen Verlautbarungen. Diese sind, dank ihrer Spontaneität in der Krisenphase schon eher zum Nennwert zu nehmen. So beschimpfte Putin sowohl Prigoschin als auch die Wagner-Söldner als Verräter, um ihnen gleich ein Angebot zur Eingliederung in die russische Armee zu machen und Prigoschin wurde amnestiert. Ob er sich seines Lebens sicher fühlen kann, steht auf einem anderen Blatt. Für einmal dürfte der Wagner-Chef in der Hitze des Gefechtes wohl Recht gehabt haben, als er, entgegen dem russischen Narrativ sagte, die Nato und die Ukraine hätten nie einen Angriff auf Russland geplant und der Krieg sei bei den Herrschern im Kreml vielmehr machtpolitisch motiviert.

Dennoch ist und bleibt Prigoschin ein gewalttätiger Krimineller, der einfach einem vom Strafgerichtshof zur Verhaftung ausgeschriebenen mutmasslichen Kriegsverbrecher die Stirn geboten hat. So wäre es bei einem Weiterzug des Marsches schlicht zu einem satanischen Finale gekommen. Auch bleibt die Erkenntnis, dass Söldner nie eine Stabilität zuzutrauen ist, von Werten ganz zu schweigen. Diese hängen die Fahnen nach der Bezahlung und sind von Grund auf unzuverlässig, korrupt und oft gewalttätig.

Schlag gegen die Staatspropaganda

Selbst wenn es zu einem Putsch gekommen wäre – wie er in Szenarien in den strategischen Studien seit einem Jahr einbezogen wird – so hätte das keine gute Wendung sein müssen, weil die gewalttätige kriminelle Energie im Kreml geblieben wäre. Auch nach einem Putsch kann es noch schlimmer kommen, insbesondere dann, wenn diese radikalen Nationalisten ins Zentrum der Macht befördern würde.

So gesehen ist die abgebrochene Meuterei mit der Vermittlung des Handlangers von Putin, Alexander Lukaschenko (welche Demaskierung des Putin Regimes!), vielleicht das beste Szenario: Immerhin wurde das antiwestliche Narrativ des Kremls und damit die Staatspropaganda in Frage gestellt; wie lange dieser in Umlauf gebrachte Zweifel im Hintergrund nun Bestand hat, wird sich weisen müssen; zumindest ist nun die Deutungshoheit von Putin und seiner Propagandamaschinerie geschwächt. Umgekehrt hätte eine militärische Niederschlagung der Rebellion den Herrscher im Kreml gestärkt.

Die Wirkung ist natürlich noch offen. Es ist sogar denkbar, dass Wagner Truppen in Weissrussland für einen Sturm auf Kiew vorbreitet werden – ebenso wie jene Perspektive, dass der Vertrauensverlust in Moskau zu einem Umdenken führt bei jenen, die noch bei Sinnen sind.

Divergierende Einschätzungen

Auch hierzulande gehen die Einschätzungen auseinander: Während Marcus Keupp, Militärökonom an der Militärakademie, immer wieder prognostiziert, dass Moskau in absehbarer Frist die Mittel ausgehen, was bislang nicht geschehen ist, gibt es auch andere Einschätzungen. Der Osteuropa-Professor Jeronim Perovic, der an der Universität Zürich lehrt, teilt seit Beginn der Invasion immer wieder Einschätzungen, die im Western entweder zu Ernüchterung oder gar zu Pessimismus führen könnten.

Eine verständnisvoll-permissive Haltung im Westen die zu Defätismus führt, kann zur Gefahr werden für Freiheit, Demokratie und Souveränität, wenn sie vor Machtgebärden kuscht.

Geschrieben am 27. Juni

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