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Ratspräsident im Trägerleibchen

Des Öfteren habe ich mich in dieser Kolumne schon über Gemeinderatsreden von grünen Politikern echauffiert und über deren weltfremde Inhalte berichtet. Ein paar Gedanken des grünen Gemeinderatspräsident Mathias Probst zum Ende seiner Amtszeit verdienen jedoch eine Erwähnung an dieser Stelle. Probst, der vor einem Jahr mit dem seit Jahrzehnten schlechtesten Wahlergebnis zum Ratspräsidenten gewählt wurde, war bei den Bürgerlichen seit je her unbeliebt. Mit seiner Kleidung (gelegentlich kurze Hosen, Trägerleibchen und Flipflops), seiner Forderung nach einer autofreien (!) Stadt und mit skurrilen Aktionen wie dem Verspeisen eines Döner Kebaps im Ratssaal eckte er vor seiner Wahl zum Ratspräsidenten an, auch über das bürgerliche Lager hinaus. Erstaunlicherweise leitete der als «extrem» geltende Politiker die Sitzungen souverän und mit wenigen Ausnahmen neutral. Verbalen Angriffen auf seine Person begegnete er jeweils gelassen, gelegentlich mit einer Prise (Selbst-)Ironie oder schrägem Humor. In seiner Abschiedsrede konstatierte er beispielsweise, dass er einige Herzen der Lokalpolitiker über das Essen erobern konnte. Tatsächlich sorgte er dafür, dass an den zahlreichen Sitzungen bis spät in die Nacht, nicht wie seit Jahren die immergleichen Sandwiches, sondern kulinarisch abwechslungsreichere Varianten serviert wurden. Auf den Protest von bürgerlichen Politikern, es werde zu viel Vegetarisches serviert, reagierte er wenig später prompt mit einem Hot-Dog-Stand der Extraklasse. Während seines Jahresrückblicks zeigte sich Probst dann aber auch von seiner ernsthaften Seite und richtete ermahnende Worte an die Ratsmitglieder von links bis rechts. Während seines Amtsjahres hätten diese nämlich über 500 Vorstösse eingereicht, viele davon, so liess er durchschimmern, dienten mehr der Selbstinszenierung als einer nachvollziehbaren Notwendigkeit. Ebenso ermahnte der ehemalige Aktivist der jungen Grünen die linke Ratsmehrheit, ihren Willen nicht mit knappen Mehrheiten durchzupeitschen. Nachdenklich zeigte er sich auch über die vielen Rücktritte aus dem Rat. Zu Recht wies er mit Besorgnis darauf hin, dass mittlerweile der Anteil der Zürcher Gemeinderäte mit einer Amtsdauer von weniger als drei Jahren auf über 50% gestiegen sei. Es brauche nämlich normalerweise mindestens drei Jahre Erfahrung, bis man sich im Ratsalltag sinnvoll einbringen könne, gab er zu bedenken. Am Schluss seiner Rede zog er am Rednerpult sein Hemd aus, das ihm seine Frau nun während eines Jahres aufgezwungen habe, wie er anmerkte, und verabschiedete sich so, wie man ihn vor seinem Präsidiumsjahr kannte: im Trägerleibchen.

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Stefan Urech
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