Wie nachhaltig ist unsere Energiestrategie wirklich?
Bei dieser Frage scheiden sich die Geister, Diskussionen werden emotional und enden meist abrupt. Dabei lohnt es sich schon, sich dieser Frage zu stellen. Ökologen werfen den Ökonomen vor, sie hätten kein Nachsehen mit der Natur, und die Ökonomen bezichtigen die Ökologen der Herunterwirtschaftung der Schweiz. Nun, wer hat wohl recht?

Spielen wir die Technologien nicht gegeneinander aus, sondern nutzen wir ihre jeweiligen Vorzüge – und zwar alle, von A wie Atomkraft bis W wie Wasserkraft. Bild: Wikimedia
Dass die Energie das Blut in den Adern einer Gesellschaft darstellt, diese verpflegt, antreibt, diese kommunizieren lässt etc., das bezweifelt wohl niemand; diese Einigkeit daher auch als Fundament der folgenden Überlegungen. Man ist sich höchstens uneinig, wieviele «Organe » in der Gesellschaft versorgt werden sollen, oder eben, wieviel Energie es braucht. Sicher ist: Wir brauchen die Energie, und wir brauchen diese während 24 Stunden an 365 Tagen. Unabhängig davon, welches Wetter gerade herrscht. Aufgrund dieses Bedürfnisses wurde in den vergangenen 140 Jahren unsere Stromversorgung aufgebaut. Zuverlässig erhalten wir jederzeit und überall unseren Strom aus der Steckdose und haben bei Dunkelheit Licht – eine wahrhaftig gute Strategie unserer Vordenker.
Noch nicht ausgereifte Technologien
Seit dem Unfall in Fukushima ist ein Pfeiler der Energieproduktionsart sehr verpönt: die Kernenergie. Nun, was ist Kernenergie überhaupt? Kernenergie liefert uns Bandenergie. Diese dient, ergänzend mit Flusskraftwerken, der Grunddeckung unseres Elektrizitätsbedarfes. Sie wird aus Uran – einem Gestein – gewonnen, welches fast überall auf der Welt vorkommt. Eine sehr nachhaltige, CO2-freie Energiequelle, welche jedoch am Ende ihres Einsatzes sehr fachkundig entsorgt werden muss und bei einem Unfall sehr gefährlich werden kann. Grössere Unfälle gab es bisher weltweit zwei. Grund dafür waren Planungs- bzw. Unterhaltsfehler. Und auch die Entsorgung ist ohne die Kernkraft nicht gelöst. Durch Forschung, Medizin und Industrie fallen weiterhin speziell zu behandelnde, radioaktive Abfallmaterialien an. Nichtsdestotrotz, und das gilt es ernst zu nehmen, ist aber auch im Gesamtkontext der dauernd angepassten gesetzlichen Rahmenbedingungen zu betrachten: Das Schweizer Stimmvolk hat sich für ein Verbot von neuen Kernkraftwerken ausgesprochen. Das bedeutet, unsere Gesellschaft muss zukünftig einen beachtlichen Teil der energetischen Grunddeckung anderweitig organisieren.
Die Strategie ist, die zukünftig fehlende Energie mittels Erhöhung der Wasserenergie (+7%) sowie eines massiven Ausbaus von Windkraft- und Photovoltaikanlagen zu decken. Auf den ersten Blick eine attraktive Lösung. Bei genauerem Hinschauen, und das hat jetzt auch die Landesregierung mit ihren Spezialisten gemacht, merkt man: Es ist zurzeit unmöglich, diese Strategie erfolgreich umzusetzen. Die heutigen Speichertechnologien für Elektrizität sind noch zu wenig ausgereift und die Anzahl an Stromproduktionsanlagen können unmöglich innert nützlicher Frist gebaut werden. Die Lösung sieht der Bundesrat nun im Bau von Gaskraftwerken. Dies nicht nur, um die fehlende Kernenergie zu ersetzen; nein, sondern auch um den Strombedarf der elektrisch betriebenen Verkehrsmittel sowie der Wärmepumpen zu decken. Übrigens: Wärmepumpen werden inskünftig die Öl- und Gasheizungen mehrheitlich ablösen. Hier kristallisiert sich ein Widerspruch heraus. Trotzdem, im Jahr 2017 hat die Bevölkerung der Energiestrategie 2050 zugestimmt, welche nachhaltige, umweltschonende und jederzeit genügend Energie versprochen hat.
Eingangs habe ich die Strategie unserer Vorfahren gelobt. Diese war ziemlich CO2-arm und sehr zuverlässig. Doch wie beurteilen wir die heutige, vermeintlich nachhaltige Strategie? Der Bundesrat will Gaskraftwerke, die Versorgungssicherheit durch elektrische Energie ist mittelfristig unsicher gewährleistet und der Strom wird massiv teurer bzw. wurde bereits teurer. Eine Strategie, die so kaum jemand wollte! Oder beim Vergleich mit der Lebensader der Gesellschaft: Wir haben ein Herz, welches schwach ist, und der Herzschrittmacher funktioniert zudem unzuverlässig.
Ein nachhaltiger schweizerischer Kompromiss
Zur Vervollständigung noch dies: Die Versorgungssicherheit hat keinen Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen Schweiz–EU oder Differenzen mit dem Ausland. Deutschland beispielsweise wird mit seiner heutigen Energiestrategie vom Elektrizitätsexporteur (+15%) zum Importeur (–15%). Von da können wir zukünftig keine Energie mehr beziehen. Und wenn die Deutschen nicht liefern können, liefern die Franzosen und zukünftig weitere 15 europäische Länder – mit Kernkraft.
Ja, wie nachhaltig ist unsere Energiestrategie wirklich? Ist das die Energiestrategie, welche das Schweizer Stimmvolk einst angenommen hat? Ich bin der Meinung, man kann eine Energiestrategie nachhaltig gestalten. Doch im Moment hat die Strategie mit Nachhaltigkeit wenig zu tun, sondern ist CO2- fördernd, ungeplant, unkoordiniert und birgt eine grosse gesellschaftliche und wirtschaftliche Gefahr. Spielen wir die Technologien nicht gegeneinander aus, sondern nutzen wir ihre jeweiligen Vorzüge – und zwar alle, von A wie Atomkraft bis W wie Wasserkraft. So werden wir weiterhin eine zuverlässige, sichere und umweltverträgliche Stromversorgung haben. Auch hier gilt letztendlich: Der gute alte schweizerische Kompromiss wird es richten.