Personalmangel in der Armee: Freiwillige können Lücke schliessen
In niederschwelligen Konflikten braucht es grosse Armeebestände zur Bewachung und Schutz der einheimischen Infrastruktur. Dezentrale Einheiten freiwilliger Reservisten wären ideal geeignet.

Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen und auf diesen aufbauen. Das ist Dissuasion – auch heute noch. Bild: VPS/DDPS – Bettina Berger
Im Januar 2025 sind rund 12’500 junge Soldatinnen und Soldaten in die Winter-Rekrutenschule eingerückt, in der Sommer-RS waren es rund 8’500. In den 1980er und 1990er-Jahren waren diese Zahlen deutlich höher. Auch zurückhaltend gerechnet hat das Schweizer Milizsystem in der Zeitspanne von 40 Jahren über eine halbe Million Männer und Frauen mit solider militärischer Ausbildung hervorgebracht. Diese Fähigkeiten liegen brach. Die Frage liegt nahe: Warum soll man dieses Potenzial nicht nutzen? Und in welcher Form wäre dies sinnvoll?
Der Solothurner SVP-Nationalrat Rémy Wyssmann hat kürzlich eine Motion im Parlament eingereicht. Der Bundesrat solle darlegen, wie ehemalige Angehörige der Armee ihren Beitrag zur Landesverteidigung auf freiwilliger Basis leisten können. Mit den jahrgangsweisen Entlassungen aus der Dienstpflicht sinkt der Effektivbestand der Armee bis 2030 auf unter 140’000 Angehörige. «Die Lücken können geschlossen werden, indem motivierten ehemaligen Armeeangehörigen ermöglicht wird, ihre erworbenen Fertigkeiten weiterhin im Interesse des Landes zu nutzen», schreibt Wyssmann in der Motion. Viele bürgerliche Politiker unterstützen den Vorstoss.
Föderalistisch, dezentral, wirksam
Künftige Konflikte werden sehr lange dauern. Der monate- oder gar jahrelange Einsatz von ausgebildeten Sicherheitskräften ist ohne Einsatz von Reservisten nicht finanzierbar. Es gibt in der Schweiz hunderte Stauseen, Stromwerke, tausende Brücken und Tunnels, die potenziell gefährdet sind. Permanente Bewachung und bewaffneter Schutz dieser Objekte ist mit dem in der SVP-Motion geforderten Einsatz von ehemaligen Angehörigen der Armee machbar. Solche Einheiten dienen der Landesverteidigung auf Milizbasis und haben Kombattantenstatus gemäss Völkerrecht. Er ist mit dem Bundesgesetz betreffend Grösse der Armee vereinbar, da es Hilfstruppen sind.
Die Einheiten sind dezentral organisiert. Als Ausrüstung genügt eine einfache Uniform, persönliche Waffe und Taschenmunition. Dazu gehören Aufklärungsdrohnen zur Geländeüberwachung und durchaus auch Kampfdrohnen für die Nah-Verteidigung.
Es braucht eine Auffrischung des Könnens inklusive ein bestandenes «Obligatorisches». Angesichts der bereits absolvierten militärischen Grundausbildung wäre ein zweiwöchiger Wiederholungskurs ausreichend. Eine Sicherheitsprüfung der Freiwilligen ist natürlich notwendig, ebenso eine Abklärung hinsichtlich körperlicher und geistiger Fitness.
Historisches Vorbild
Das Vorbild ist die Ortswehr der Schweiz von 1940. Beim Kriegsausbruch 1939 war die Schweizer Armee mangelhaft ausgerüstet. General Guisan und der Bundesrat beschlossen den Aufbau einer Miliztruppe, welche die regulären Streitkräfte unterstützt. Die historischen Zahlen sind beeindruckend: Innerhalb von sieben Monaten, von Januar bis August 1940, stieg der Totalbestand auf über 125’000 Freiwillige in über 2’800 Ortswehr-Gemeinden.
Die Einsatzdoktrin einer heutigen Ortswehr wäre vergleichbar mit damals. Es geht um Schutz und Bewachung kritischer Infrastruktur, Patrouillen zu Fuss und mit Drohnen oder Kontrolle von Munitionsmagazinen und Armeefahrzeugpärken. Ebenso wichtig sind Verteilung von Wasser und Lebensmittel bei Verschärfung der Konflikte. Solche Dienste sind extrem personalintensiv. Sie sind auch langweilig und mühsam. Ein Bewachungsdienst im Turnus-Modus mit freiwilligen Ortskundigen in einer Ortswehr auf Gemeindeebene, integriert in die kantonalen Einheiten der Armee, wäre effizienter und günstiger als mit Kampfeinheiten.
Maximal dissuasiv
«Dissuasion» ist ein Ausdruck aus der Konflikttheorie. Früher alltäglich, ist das Konzept etwas in Vergessenheit geraten. Es bedeutet Abschreckung: Wille und Fähigkeit zur Selbstverteidigung, um einen Angriff zu verhindern. Eine Hornisse ist dissuasiv mit defensiver Strategie, Signalfarben und Stachel.
In der kritischen Zeit von 1940 fanden sich innert kürzester Zeit über 100’000 Freiwillige zum Dienst. Die Behauptung ist nicht vermessen, dass bei einer Verschärfung der Bedrohungslage in Europa – zweifelt noch jemand? – erneut viele standfeste Eidgenossen Land und Leute schützen würden.