Gegen das Vergessen und Verharmlosen
Wurden auch Sie schon bei einer Standaktion als «Nazi» beschimpft?

Eine grössere Verharmlosung der damaligen unbeschreiblichen Verbrechen des Nationalsozialismus als die Gleichsetzung mit einer schweizerischen, demokratischen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Partei wie der SVP kann man sich gar nicht denken. Bild: Pixabay
In den Ferien finde ich jeweils endlich Zeit, meiner heimlichen Leidenschaft, dem Lesen, zu frönen. Für gewöhnlich wähle ich zur Entspannung leichte Lektüre wie Thriller. Letztes Mal war dem aber nicht so, sondern ich entschied mich für das erschütterndste Buch, das ich je in meinen Händen hielt. Geschrieben hat es der ungarische Journalist József Debreczeni, und es trägt den Titel «Kaltes Krematorium, Bericht aus dem Land namens Auschwitz». Erst achtzig Jahre nach der Befreiung dieses schrecklichsten aller Konzentrationslager wurde das bereits 1950 in ungarischer Sprache erschienene Buch unlängst ins Deutsche übersetzt.
Im stalinistischen Ungarn fand dieses Porträt des nackten Grauens wenig Aufmerksamkeit. Mittlerweile aber ist das Werk des 1944 nach Auschwitz deportierten jüdischen Autors in 15 Sprachen übersetzt worden. Nach einem Jahr brutalster physischer und psychischer Qualen wurde der Vierzigjährige, abgemagert bis auf knapp 35 Kilogramm, von der Roten Armee befreit. In fast kühl-distanzierter Präzision schildert József Debreczeni die Beraubung der KZ-Häftlinge von jeder menschlichen Würde, den täglichen Hunger, den Schmutz, Seuchen, Misshandlungen, die mörderische Ausbeutung der Arbeitskraft und schliesslich die industrielle Vernichtung. Ein sadistisches System von Belohnungen und Bestrafung sorgte dafür, dass überlebenswillige Häftlinge zwangsläufig Komplizen ihrer Schergen wurden. Debreczenis Einteilung zum Arbeitsdienst ermöglichte in den Lagern der absoluten Entmenschlichung und grenzenlosen Machtausübung zumindest ein Überleben auf Zeit. Weil die Befreier gerade noch rechtzeitig eintrafen, konnte der Autor der Nachwelt sein Erleben und Erleiden vermitteln. Seine Frau und seine Eltern dagegen wurden ermordet.
Die Geschehnisse im damaligen Europa sind ekelerregend, und wer diese Auschwitz-Reportage gelesen hat, ist umso befremdeter, wie unbesonnen heutzutage mit der Nazi-Keule hantiert wird. Die Schimpfwörter «Nazi», «braun» oder «rechtsextrem» gehen vielen Zeitgenossen locker über die Lippen. Gerade wir Politikerinnen und Politiker von der SVP müssen uns immer wieder solch widerwärtige Titeleien gefallen lassen – nicht selten übrigens von hochdeutschen Stimmen. Wurden auch Sie schon bei einer Standaktion als «Nazi» beschimpft? Tun Sie es mir gleich und lassen Sie sich das künftig nicht mehr gefallen. Wer ein Buch wie «Kaltes Krematorium » gelesen hat, weiss, wie geschichtsblind solche Beschimpfer sind und nichts, aber auch gar nichts gelernt haben. Denn eine grössere Verharmlosung der damaligen unbeschreiblichen Verbrechen des Nationalsozialismus als die Gleichsetzung mit einer schweizerischen, demokratischen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Partei wie der SVP kann man sich gar nicht denken.